Verfall von Urlaubsansprüchen – Arbeitgeber muss darauf hinweisen
Sehr geehrte Damen und Herren,
ein Arbeitnehmer verliert in der Regel nur dann seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 19. Februar 2019 (Az: 9 AZR 541/15) und setzte damit die Vorgaben eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 06.11.2018 um. Der EuGH hatte dort festgelegt, dass ein Arbeitnehmer in richtlinienkonformer Auslegung von § 7 Abs. 3 Satz 1 Bundesurlaubsgesetz seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch deshalb verliert, weil er keinen Urlaubsantrag gestellt hat.
Bisher hatte das BAG die Rechtsansicht vertreten, dass Urlaub, der bis zum Jahresende nicht gewährt und nicht genommen wird, nach § 7 Abs. 3 Satz 1 Bundesurlaubsgesetz verfällt. (Anm: Im Dachdeckerhandwerk verfällt der Urlaubsanspruch grundsätzlich am 31.03. des Folgejahres; § 48 RTV). Das sollte selbst dann gelten, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber rechtzeitig, aber erfolglos aufgefordert hatte, ihm Urlaub zu gewähren.
In seiner Entscheidungsbegründung folgte das BAG dem EuGH. Es stellte fest, dass § 7 Abs. 3 Satz 1 Bundesurlaubsgesetz richtlinienkonform dahingehend auszulegen ist, dass der Verfall von Urlaubstagen mit Ablauf des Kalenderjahres in der Regel nur dann eintreten kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraumes erlischt. Zwar bleibt es weiterhin dem Arbeitgeber nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 Satz 1 Bundesurlaubsgesetz vorbehalten, die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers festzulegen. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts zwinge die Vorschrift den Arbeitgeber damit nicht, dem Arbeitnehmer von sich aus Urlaub zu gewähren. Allerdings – und darauf wiesen die BAG-Richter ausdrücklich hin – obliege dem Arbeitgeber die „Initiativlast“ für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Der Arbeitgeber sei somit gehalten, „konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun“. Der Arbeitgeber habe dem Arbeitnehmer daher klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraumes oder eines Übertragungszeitraumes verfallen werde, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nehme.
Bewertung:
Die neue BAG-Rechtsprechung legt dem Arbeitgeber neue Pflichten auf:
1. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer individuell aufzufordern, seinen Urlaub zu nehmen. Ein alleiniger Hinweis auf die Anzahl noch offener Urlaubstage wird insoweit kaum ausreichen. Auch ein genereller Aushang am sogenannten „Schwarzen Brett“, mit dem Appell an die Belegschaft, diese möge ihren Resturlaub nehmen, wird den Anforderungen nicht gerecht werden.
2. Die Aufforderung muss hinreichend konkret formuliert sein. Ein allgemeiner Hinweis auf die Urlaubsregelung im Arbeits- oder Tarifvertrag reicht nicht aus.
3. Des Weiteren muss der Arbeitgeber klar aufzeigen, dass der Urlaub verfällt, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht vor Ablauf des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraumes nimmt.
4. Die Aufforderung zur Inanspruchnahme des Urlaubs muss rechtzeitig erfolgen. Was im konkreten Einzelfall als „rechtzeitig“ zu werten ist, ließ das BAG leider offen. Es spricht jedoch einiges dafür, dass die Mitteilung zeitlich so zu erfolgen hat, dass der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Anzahl der noch nicht genommenen Urlaubstage vor deren endgültigen Verfall in die Lage versetzt wird, den Urlaub vollständig zu nehmen.
Urlaubsansprüche können mit Blick auf die neue BAG-Rechtsprechung daher nur dann untergehen, wenn der Arbeitgeber nachweist, dass er den Arbeitnehmer ordnungsgemäß wie oben beschrieben informiert und der Arbeitnehmer aus freien Stücken auf seinen Urlaub verzichtet hat, obwohl er durch den Arbeitgeber tatsächlich in die Lage versetzt wurde, den Urlaub rechtzeitig zu nehmen. Aus Beweisgründen sollte die Aufforderung des Arbeitgebers daher jedenfalls in Schriftform erfolgen und dem Arbeitnehmer nachweisbar zugestellt werden.
Auf dieser Grundlage wurde ein Musterschreiben für Dachdeckerbetriebe erarbeitet, siehe hier: https://docdro.id/MwsxF93 mit der Empfehlung, dieses den Mitarbeitern im Hinblick auf den Regelverfall des Urlaubsanspruches in §48 RTV möglichst in der Jahresmitte zukommen zu lassen. Bei Langzeiterkrankten sollte der schriftliche Hinweis möglichst bald nach Wiederaufnahme der Arbeit erfolgen.